Immer und überall diese Haare! Sie kleben an Kleidern, fliegen als Staubmäuse durchs ganze Haus, der Wiederverkaufswert des Autos sinkt deswegen und die Haare sind auch an Stellen zu finden, wo der Hund noch nie war.

 

Die Lösung scheint so nah

Dieses Problem hat man (fast) nicht, wenn man sich einen nicht haarenden Hund ins Haus holt. Das Fell dieser Hunde besteht oft nur aus einer Schicht (Single Coat) im Gegensatz zu Hunden mit Deckhaar und Unterwolle. Problem gelöst? Ja, das Problem mit den herumfliegenden Haaren ist gelöst. Jedoch kommen jetzt andere Probleme auf einen zu.

Im Gegensatz zu Fell, das saisonal (oder ständig) die Unterwolle verliert, wächst das Haar von solchen Hunden stetig und muss gekürzt werden. Daher ist es umso wichtiger solche Hunde regelmäßig zu bürsten. Je nach Haarqualität reicht einmal in der Woche. In Extremfällen kann es aber auch nötig sein, seinen Hund mit längerem Fell mehrmals am Tag zu kämmen, um dem Verfilzen entgegenzuwirken.

 

Doch neue Probleme tauchen auf

Obwohl ich behaupte, mich gut mit Hunden auszukennen, kam ich nach dem Einzug meiner Bolonka-Zwetna-Hündin namens Broccoli ziemlich auf die Welt in Sachen Fellpflege. Als Welpe war noch alles easy und Broccoli ließ sich problemlos bürsten. Schon nach ein paar Wochen änderte sich dies, als ich immer häufiger auf Verfilzungen stieß. Bei der Fellpflege ziepte es immer mal wieder und innerhalb kürzester Zeit lief Broccoli davon, wenn ich mit der Bürste kam. Ihr Vertrauen in mich wurde geschwächt. Es tat mir so leid, diesem kleinen Hund immer wieder weh tun zu müssen, und ich suchte nach Lösungen.

Im Internet stieß ich auf Tipps, mit welchen Werkzeugen und Mitteln man das Fell effizienter pflegen könne. Ich fand auch viele Videos von Groomern und Züchtern zum Thema Hundepflege. Was mir meistens auffiel, ist die Körpersprache dieser Hunde auf dem Tisch. Praktisch jeder Hund zeigt Stresszeichen wie Zittern und Hecheln, Augen weit Aufreissen und sich über die Schnauze Lecken. Auch bei meinem eigenen Hund beobachte ich viele dieser Stresszeichen bei der Pflege und ich hatte nach wie vor das Problem, dass Broccoli sich verkroch, wenn ich bürsten wollte.

 

Mit Medical Training einen großen Schritt voran

Ich suchte also weiter und stiess auf Medical Training. Mit den gefundenen Informationen startete ich das Training. Anders als der Name vermuten lässt, beinhaltet Medical Training neben der Vorbereitung auf Behandlungen beim Tierarzt auch die tägliche Pflege von Tieren. Weil ich noch mehr zu diesem Thema wissen wollte und mehr Unterstützung im Training benötigte, begann ich letztes Jahr die Ausbildung zum Trainer.

Anfangs war es zugegeben recht frustrierend. Ich konnte mir zeitweise nicht vorstellen, dass wir in absehbarer Zeit dazu kämen, das Gelernte im Ernstfall – sprich mehrmals wöchentlich auf dem Frisiertisch – anzuwenden. Da in der Zwischenzeit die teils schmerzhafte Fellpflege nicht pausiert werden kann, kommt man im Training langsamer voran als bei Behandlungen, die das Tier noch nicht negativ erlebt hat.

Ein kleiner Durchbruch stellte sich nach ein paar Monaten ein: Broccoli hat gelernt, selbstständig über Hocker und Stuhl auf einen Tisch zu steigen und mir damit ein Startsignal zu geben. Ich bürstete und scherte sie von da an auf einem bestimmten Tisch. Sie zeigt nach wie vor, dass ihr die Prozedur keinen Spass macht. Aber der Umstand, dass sie den Tisch selbst betreten und auch wieder verlassen kann, wenn es ihr zu viel wird, gibt ihr eine gewisse Kontrolle über die Situation und macht es für sie erträglicher. Dieses Setting dient im Moment als Zwischenlösung. Broccoli zeigt immer noch starkes Unbehagen und verlässt nach meiner Einschätzung den Tisch erst, wenn sie ganz am Ende ihrer Geduld ist.

 

Arbeiten mit zwei Settings

Darum trainiere ich mit Broccoli parallel dazu an einem anderen Ort und mit anderem Werkzeug weiter kleinschrittig das Bürsten und Scheren mit eindeutigeren Kooperationssignalen wie der Seitenlage oder dem Kinntarget. Der Hund kann durch das Heben des Kopfes viel leichter und schneller zeigen, dass es ihm zu viel ist und er eine kurze oder längere Pause braucht, bevor weitergemacht werden kann.

 

Geeignete Hilfsmittel zur Unterstützung im Training

Damit die Fellpflege einfacher wird für uns, wird Broccoli aktuell alle vier bis acht Wochen geschoren. Sie wird mindestens jeden zweiten Tag gebürstet und alle zwei bis drei Wochen mit Shampoo und Conditioner gebadet. Ich hätte gelacht, wenn man mir vor ein paar Jahren gesagt hätte, dass ich je Hunde-Conditioner verwenden würde. Aber sauberes und gepflegtes Fell verknotet tatsächlich weniger schnell. Filzstellen schneide ich je nach Stelle und Schweregrad gleich weg oder versuche sie mit einem Filzmesser aufzuschneiden, bevor ich bürste. Der Einsatz von Fellpflegespray oder auch einfach verdünntem Conditioner ist zur Selbstverständlichkeit geworden

 

Das Leid von pflegeintensiven Hunden und ihren Besitzern ist für mich ein grosses Herzensthema. Es darf nicht als normal angesehen werden, dass sich ein Hund vor seiner täglichen Pflege fürchtet und dem Menschen deswegen misstraut. Ich wünsche mir, dass die Kooperative Pflege im Sinne des Medical Trainings bekannter wird und Hundebesitzer einfacher Informationen und Hilfe dazu finden.

 

Anja Schwill

Medical Trainerin in Ausbildung